Vor
kurzem in einer Videospielezeitschrift (ja, ich lese sowas - es besteht
noch die Möglichkeit, die Kolumne zu ignorieren) gelesen:
"Der Weg der Gewalt", ein 4-Seiten-Artikel über die Software-Erfolgsgeschichte
der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (<-alte
Formulierung) bzw. Medien (<-die neue, welche dem hippen Lebensgefühl
der Nullerjahre entspricht, hihi). Neben den vielen bunten Bildern haben
mir vor allem die Original-BPjS/M-1A-Qualitäts-Zitate zu den Indizierungsbegründungen
einiger Titel gefallen. Aus Copyrightgründen habe ich die Spielbeschreibungen
des Autors umgeschrieben oder durch eigene ersetzt (war wahrscheinlich
unnötig). Damit der Text überhaupt als Kolumne durchgeht, habe
ich das Ganze noch mit ätzenden Kommentaren in eckigen Klammern versehen.
Machwerk
Nr.1, Titel: River Raid, Hersteller: Activision, Datum der Indizierung:
13.12.1984, indiziert auf folgendem System: Atari VCS 2600
Genre: Shoot'em up, welches statt üblicher SF-Weltraumthematik ein
normales (?) Kriegszenario bietet.
Gequotetes aus dem Indizierungsentscheid:
"Jugendliche sollen sich in die Rolle eines kompromisslosen Kämpfers
und Vernichters hineindenken", "Hier findet im Kindesalter eine
paramilitärische Ausbildung statt [Da könnte man gleich kriegsspielende
Kinder polizeilich überwachen - Moment. Das ist auch schon vorgekommen]",
"Bei älteren Jugendlichen führt das Bespielen (...) zu
physischer Verkrampfung, Ärger, Aggressivität, Fahrigkeit im
Denken (...) und Kopfschmerzen [Indiziert dann bitte auch Kaffee und Alkohol]"
Nr.2,
Raid over Moscow, Access Software, 8.8.1985, C64
Shooter mit Luft-und Bodenballereien mit der damals aktuellen "Story",
einen sowjetischen Nuklearschlag zu verhindern.
"'Raid over Moscow' zwingt den Spieler, sich an einem aggressiven,
militärischen Atomkrieg zwischen den beiden Supermächten zu
beteiligen", "Denkstrukturen werden erzogen, die zur Gewöhnung
an den Gedanken eines atomaren Holocausts führen [Wer hat es denn
schon geschafft, während des gesamten Kalten Kriegs "Das Ende
ist nah!"-schreiend rumzulaufen? Na gut, die Zeugen Jehovas.]",
"Das Spiel stellt den Krieg als hervorragende Bewährungsprobe
für männliche Tugenden und heldische Fähigkeiten dar"
Nr.3,
Commando, Capcom, 19.2.1987, C64
Von-oben-auf-Soldaten-in-Gegnerhorde-guck-Shooter, mal wieder mit toternstem
Kriegsschauplatz.
"Der Spieler hat allein die Aufgabe, Menschen zu töten und dafür
Punkte gutgeschrieben zu bekommen", "Es wird geschossen, es
wird getötet", "Aggressive Verhaltensmuster werden spielerisch
eingeübt", "Ein Versagen oder das Erzielen geringer Punktzahlen
führt zu Frustration [Ja. Indiziert die Schule. Und die freie Marktwirtschaft
mit ihrem kalten Konkurrenzdenken. Beamtenmund...]"
Nr.4,
Barbarian: Der mächtige Krieger, Palace Software, 16.10.1987, C64
Weapon-Beat'em up mit Conan-Atmosphäre.
"In der Bedienungsanleitung benutzte (Manöver-)Begriffe wie
'Nackenschlag' oder 'Todeswirbel' geben den tödlichen Ernst des Spiels
[Das Spiel ist also tödlich, um das zu merken fehlt mir wohl die
Medienkompetenz] nicht wieder", "Mit dem Schwert müssen
Hiebe gegen den Gegner ausgeteilt werden, die ihm blutrote Verletzungen
zufügen oder seinen Kopf abschlagen", "der Todesvorgang
wird bagatellisiert und ins Lächerliche gezogen" [Es war den
blutrünstigen BpjS-Leuten nicht realistisch genug]
Nr.5,
Operation Wolf, Taito, 17.4.1989, Amiga
Lightgunshooterkonvertierung ohne Lightgun im Military-Look.
"Durch die realistische Darstellung - bei im Vordergrund kämpfenden
Soldaten sind sogar einzelne Gesichtszüge zu erkennen - wird dem
Spieler suggeriert, sich in einer echten Kampfsituation zu befinden [=zu
realistisch]", "Das Töten wird spielerisch eingeübt
[nicht ernst genug?]", "Die resultierende Jugendgefährdung
ist offenbar [Jetzt hättet ihr gerne Bilder, was?]"
Nr.6,
Moonstone, Mindscape, 14.4.1992, Amiga
Hack'n'Slay im Mittelalter-Ambiente mit minimalem Rollenspieldrumherum
und Mehrspielermodus, aber ohne Scrolling.
"Will der Spieler das Programm in seiner Gänze erkunden, ist
er gezwungen [das Spiel erpresst ihn], zahlreiche Gegner auf grausamste
Art und Weise zu zerstückeln, da ihm sonst der Abbruch des Spiels
droht", "Im spielerischen Einüben des Tötens ist die
Gefahr zu sehen, dass der Respekt vor dem Leben und der körperlichen
Unversehrtheit herabgesetzt wird"
Nr.7,
Golden Axe, Sega, 22.5.1992, Amiga (gibt auch eine Megadrive-Version,
Indizierungsdatum und -begründung beziehen sich aber immer nur auf
das angegebene System)
Sidescroll-Beat'em up mit Fantasy-Stereotypen.
"Töten wird spielerisch eingeübt und zum sportlichen Vergnügen
verniedlicht", "Der Spieler wird durch die anhaltende Bedrohung
der Spielerexistenz in einen beständigen Erregungszustand versetzt",
"Die angemessene Auseinandersetzung mit aggressiven Impulsen wird
durch derartige Szenarien in einer entscheidenden Entwicklungsphase des
Heranwachsenden blockiert [Es sollte für virtuelles Rowdytum Echtzeitknastaufenthalt
geben. Und wer die Konsole nicht die paar Tage laufen lassen will, verliert
dann halt seinen Spielstand.]"
Nr.8,
Mortal Kombat, Midway, 31.3.1994, BESCHLAGNAHMT auf Megadrive, Master
System, Game Gear (die SNES-Version des 1. Teils war blutfrei und mit
entschärften Fatality-Moves, während auf Megadrive die "harte"
Variante durch eine Tastenkombination ermöglicht wurde)
Beat'em up.
"Der Nutzer wird ausschließlich im Sinne der Ausführung
brutaler Kampfhandlungen an menschlichen Wesen gefordert", "Die
Jugendgefährdung ist im geforderten reflexartigen, instinktiven Zufügen
schwerster Körperverletzungen zu sehen", "Die grafischen
und akustischen Animationen sind nicht geeignet, das abgebildete Geschehen
als 'realitätsfernes' bzw. 'fantastisches' auszuweisen [=Wir von
der BpjS/M sind damit vertraut, aus dem Stand 3 Meter hoch zu springen,
per Kinnhaken den Kontrahenten - der unser eigener Klon sein kann - meterweit
fliegen zu lassen, aus den Händen Energiekugeln zu schießen
und uns das Fleisch vom Gesicht zu reißen um den Verlierer mit einer
Feuerspucker-Einlage zu rösten. Legt euch also besser nicht mit uns
an.]"
Nr.9,
Doom (wasndas?), Idsoft, 25.5.1994, PC
Egoshooter (das besagt zumindest die Legende. OK, ich höre ja schon
auf damit).
"'Doom' setzt mit seiner spekulativen, effektheischenden Aufbereitung
blutiger Gemetzelszenen im wesentlichen auf ein beim potenziellen Nutzer
vermutetes voyeuristisches, bzw. sadistisches Interesse [Selbstverteidigung
ist Sadismus! Vor allem, wenn ihr perversen Spanner dabei die Ich-Ansicht
benutzt. Ob das auch für "Real Life" gilt, wollen Sie wissen?
-Selbstverständlich gilt das für sämtliche Egoshooter!]",
"Die Akte der Liquidation werden zB. durch die aufwendige Darstellung
blutig zerfetzter gegnerischer Körper positiv verstärkt"
Nr.10,
Virtua Cop, Sega, 27.3.1997, Saturn
Lightgunshooter (einer der ersten mit Polygonoptik). Allein oder zu zweit
schießt man auf Verbrecher und Terroristen.
"Realitätsnah und aus einer Perspektive, die dem menschlichen
Blickfeld ähnelt [Energie-, Munitions- und andere Anzeigen, Dauerzeitlupe
und Zoomeffekte helfen den BpjS/M-Beamten bei alltäglichen Dingen
wie Kaffeekochen per Feuerball uvm.]", "Eine Steuerung, die
so geringe feinmotorische Ansprüche stellt, dass sie schon bald intuitiv
beherrscht wird und der im Eiltempo fortschreitenden Action nicht im Wege
steht [sagte Stoiber bei seiner Ansprache zum Schützenvereinsfest]"
Nr.11,
Resident Evil 2, Capcom, 30.5.1998, Playstation
Obwohl die Alone-in-the-Dark-Serie älter ist, gilt die Resident-Evil-Reihe
als Begründer des "Survival Horror" (Action-Adventure mit
hohem Schockgehalt), durch starre Blickwinkel sehr (zombie-)filmartig.
Für den ersten Teil mussten zwei Capcom-Mitarbeiter Fotos von Unfall-Leichen
sammeln.
"Die Tötungsvorgänge wirken interessanter (als im Vorgänger)
und damit sicherlich umso verrohender [ähnlich wie die Rothaarige-sind-Hexen-Theorie
des Spätmittelalters eine heutzutage ebenso beliebte wie unbelegte
Ansicht - siehe Link am Ende]", "Eine deutliche Erhöhung
des Gewaltpotenzials ist sowohl auf die Zahl zu tötender Gegner als
auch auf die Art der Darstellung festgestellt worden", "Der
'Kick' rührt gerade aus dem Bewusstsein, mit einem ethischen Minimalkonsens
der Unantastbarkeit menschlichen Lebens zu brechen und dabei Vergnügen
zu empfinden [es gibt ein deutsches Verfassungsgerichtsurteil zu Horrorfilmen,
glaube so etwa von 1990, in welchem zwischen Menschen und menschenähnlichen
Wesen, wie Zombies, deutlich differenziert wird. Auf deren Website sind
aber nur Entscheide von heute bis 1998 abrufbar. Gebt mal auf
http://www.bverfg.de/bverfg_cgi/entscheidungen/frames "Gewaltspiel"
ein :(]"
Nr.12,
Medal of Honor
Egoshooter in WKII-Kulisse. Man ist schneller und steckt einige Treffer
mehr ein als ein normaler Mensch, <Ironie>kämpft aber auf Seite
der Alliierten</Ironie> (Mehrspielermodus lässt freie Wahl).
Ähnlich wie bei "Golden Eye" mit diversen Missionszielen.
"Das im Spiel einzig geforderte Handeln ist die reaktionsschnelle
Liquidation der überwiegend menschlichen Gegner", "Aufgrund
der atmosphärischen Dichte wird eine sehr realistische Situation
erzeugt ["Zeitzeuge"? Realismus ist der Feind der Indizierer?]",
"Ein empathischer Mitvollzug der Leiden der Opfer ist, da das einzelne
gesichts- und charakterlos verbleibende Tötungsobjekt in der Masse
identischer Klonen förmlich untergeht, ausgeschlossen[=Zu realistisch,
aber nicht realistisch genug - Teil 5678493784072582]"
Der
Journalist beendet seinen Bericht über die Historie der BPjS/M mit:
"Wer die BPjS folglich [in Betracht auf die Nicht-Indizierung von
Counter Strike, ein Spiel von dem noch nicht bewiesen ist, dass es von
der Al-Qaida nicht zum Benchmarken ihrer Aldi-PCs verwendet worden ist]
als verlängerten Arm der Zensur aburteilt, tut der Behörde unrecht.
So sehr sich die Spielelandschaft in den letzten 20 Jahren verändert
hat, die Bundesprüfstelle versuchte [...] stehts mit dieser Entwicklung
Schritt zu halten."
Da hat der diplomatische Schlingel ganz Recht. Ich sehe durchaus mehr
als den bloßen Versuch der Modernisierung:
Eine eindeutige Entwicklung von extrem beknackt zu beknackt. Vielen Dank
fürs Lesen.
Auf
http://www.zavatar.de gibt die Software-Industrie Auskunft über Altersbeschränkungen
(leider unvollständig).
Eine nette Argumentation (englisch) gegen Videospielzensur gibt es unter:
http://www.fepproject.org/courtbriefs/stlouis.html#argument
Da steckt natürlich die Videospielindustrie dahinter. Also braucht
ihr gar nichts von dem da glauben. Die 58 Fußnoten könnte man
aber als Indiz für durchdachte Behauptungen werten.
Quelle: MAN!AC, Ausgabe11/2002, Seite 32-35, Autor: Colin Gäbel (des
Artikels - nicht der Kolumne hier, du Idiot) |